Mit seinen politischen Horrorfilmen „Get Out“ und „Wir“ hat der Komiker Jordan Peele zweifellos Genrefilmgeschichte geschrieben. In seinen ebenso spannenden wie witzigen und originellen Inszenierungen gab er marginalisierten Personen die Hauptrolle und stellte gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen bloß. Mit dem Science-Fiction-Hybriden „Nope“ geht er nun einen entscheidenden Schritt weiter. Geschrieben, inszeniert und produziert von Jordan Peele unter seinem Banner Monkeypaw Productions und hervorragend besetzt mit Daniel Kaluuya, Keke Palmer, Steven Yeun, Michael Wincott und Brandon Perea, macht er sich nun an eine Selbstreflexion des Hollywoodkinos – mit den Mitteln eines spannenden Genremixes.
*Spoiler*
Der Film handelt von zwei Geschwistern, die eine Ranch besitzen und versuchen, Beweise für ein unbekanntes Flugobjekt zu sammeln. Sie sind die Nachfahren des schwarzen Jockeys, der auf Eadweard Muybridges Reihenfotografie eines Reiters mit Pferd zu sehen ist, welche als eine Geburtsstunde des Kinos gilt. Die Nachfahren des Jockeys machten eine marginale Karriere als Tiertrainer für Hollywood, und es fällt den Geschwistern sichtlich schwer, das Erbe des souveränen Vaters anzutreten, der auf mysteriöse Weise stirbt. Als klar wird, dass in der unbeweglichen Wolke über dem Tal ein unbekanntes Flugobjekt lauert, welches alle Wesen attackiert, die es ansehen, macht sich ein Team um die Geschwister daran, einzigartige Filmbeweise für die Existenz außerirdischen Lebens zu sammeln.
Das UFO ist eine starke Bildmetapher: Ein allsehendes Auge in der Cloud, das alle Neugierigen verschlingt, sich buchstäblich von der Schaulust ernährt. Peele treibt diese Metapher noch weiter, indem er die Kommunikation zwischen den Lebewesen selbst thematisiert: Zu Beginn erfahren wir von Gordie, einem Filmaffen, der während der Dreharbeiten seine Mitspieler attackierte; auch das ‚Auge’ agiert wie ein instinktgetriebenes Tier. Es entpuppt sich als eigenständiges Wesen in wandelbarer Form, mit dem eine Kommunikation letztlich unmöglich ist. Man kann es nur studieren und seine Verhalten einschätzen. Daraus entsteht ein zweifellos originelles Außerirdischenkonzept, das sich mit anderen SF-Filmen ergänzte, in denen die Kommunikation mit dem Fremden im Zentrum steht (u.a. „Arrival“).
Die Inszenierung legt souverän vermeintlich falsche Spuren (die Gordie-Episode), die am Ende doch zusammenführen. Peeles Spiel mit Genrekonventionen ist formal virtuos umgesetzt, arbeitet mit delikater Farbpalette, eindrucksvolle Totalen, die das Frontier-Country feiern, und einer zunächst atonalen und später zunehmend euphorischen Musik. Dieses humorvolle Wechselbad der Gefühle bietet einem großen Publikum sehr unterschiedliche Schauwerte, die vom Horror über die Science Fiction in einen modernen Western münden. Peele zeigt, dass er und sein Team die filmischen Mittel meisterlich beherrschen, von der Bildkomposition bis in die differenzierte Tongestaltung, die auch in der deutschen Fassung bewahrt bleibt.
Die Thematisierung des ‚Speziezismus’ führt dazu, dass die Tiernamen als Kapitel eingeblendet werden. Immer wieder kommt es zu Ellipsen, zum Schnitt ins Schwarzbild, um Spannungsbögen abzubrechen und später anzuknüpfen. Zudem lässt sich der Film viel Zeit für die Charakterentwicklung.
Neben der besonderen Qualitäten als Genrehybrid ist der vielschichtige Umgang des Films mit analoger und digitaler Technik bemerkenswert. „Nope“ – ein mehrdeutiger Titel, der ebenfalls mehrere Ansätze bietet – ist die zeitgemäße selbstkritische Hinterfragung der Filmproduktion als Prozess zwischen Kreativität, Obsession und Ökonomie und gipfelt im Selbstopfer des Kameramannes, der den letzten Moment seines Lebens noch festhalten will.
(MSt)