Die Filmkritikerin Birgit Roschy hat Marcus Stiglegger für den Evangelischen Pressedienst zum anhaltenden Erfolg von KÖNIG DER LÖWEN interviewt:
1. Bei der Recherche bin ich oft auf den Vorwurf der Propaganda für Totalitarismus – indem mittels Simba ein Führerprinzip propagiert wird – gestoßen, Stichworte sind u.a. „Führer-Phantasie“, „Raubtierkapitalismus“ und „Reichsparteitag der Tiere“. Was meinen Sie dazu?
Es gibt ein den letzten Jahren eine verstärkte Tendenz der neomarxistischen, ideologischen Filmkritik, die ideologische Schablonen oft ungebrochen auf Filminhalte anwendet, um dann zu dem Schluss zu kommen, ob ein Film einem bestimmten Weltbild entspricht oder eben zu kritisieren ist. Das mag oberflächlich zu einem klaren Befund führen, hat jedoch selten wirklich Aussagekraft über die Komplexität filmischer Form und des Storytellings. KÖNIG DER LÖWEN erzählt eine Geschichte aus dem Tierreich, die nicht zufällig Ähnlichkeiten zu den Königsdramen von Shakespeare etwa aufweist. Die Auswahl der Löwen als einer vom Publikum bewunderten Spezies kommt dem symbolisch entgegen, da der Löwe als königliches Symbol und Wappentier gilt. Und in der Logik des familienorientierten Animationsfilms hat der Film zweifellos eine Tendenz der Zuspritzung, die ihn allzu simpel erscheinen lässt. Ich bezweifle allerdings, dass ein großes Publikum den Film als monarchistische Führerphantasie wahrnimmt – vielmehr geht es emotional gesehen um eine kindliche Odyssee voller Bewährungsproben, Verluste und existenzieller Fragen. Dass dahinter ein Königsdrama steht, mag eher der mythischen Grundtendenz von Disneys Storytelling geschuldet sein.
2. Ist es überhaupt sinnvoll, bei Disney-Unterhaltungsfilmen, die ja, wie andere Animationsfilme, meistens den Regeln einer mythologischen Heldengeschichte folgen, solche politischen Interpretationen vorzunehmen?
Eine ideologische Filmkritik ist zweifellos zufrieden mit einem ‚positiven Befund’, der sich mit einer Imperialismuskritik koppeln lässt: So ist das erfolgreichste Modell eines US-Familienfilms zugleich das kritisierbarste. Adorno gefällt das. Doch Film ist komplexer als diese Erkenntnis.
3. Dann ist da noch der Ödipuskomplex, den Slavoj Žižek in dem Film entdeckte. Ist das mit ein Grund für den Erfolg des Films?
Freudianische Aspekte gehören ebenso wie C.G. Jungs Archetypen zum mythischen Storytelling, das sich als äußerst massenkompatibel erwiesen hat. Mit der strukturalen Anthropologie von Claude Lévi-Strauss müssen wir davon ausgehen, dass gerade in dieser mythischen Basis eine Grundstruktur menschlichen Denkens liegt, die solche Stoffe so effektiv macht.
4. Was sind für Sie die entscheidenden Gründe dafür, dass der Erfolg, etwa mit -zig-Musicalversionen und Sequels etc. bis heute anhält?
Die mythische Essenz dieses Stoffes scheint auch in der crossmedialen Vermarktung nichts an Kraft zu verlieren.
5. War „Der König der Löwen“ eine Initialzündung für Animationsfilme für ein globales, also auch nichtweißes, Publikum?
KÖNIG DER LÖWEN erzählt zweifellos eine archetypische Geschichte, die sich weltweit vermarkten lässt, die also kulturelles Grenzen überschreitet. nach genau dieser Qualität hat Disney immer gesucht, und gerade die Tierparabeln eignen sich dazu besonders gut, da sie scheinbar losgelöst von menschlichen Stereotypen zu funktionieren scheinen. Analytisch lässt sich freilich nicht bestreiten, dass auch hier stereotype Strukturen zu finden sind, sie werden aber vermutlich in unterschieden kulturellen Kontexten auch unterschiedlich wahrgenommen.
6. „Der König der Löwen“ ist der letzte erfolgreiche klassische Zeichentrickfilm. Es gibt auch ein fotorealistisches neues Remake von 2019, das aber eher mäßig ankam. Ist es doch das Nichtperfekte, das besser gefällt als die technische Perfektion?
Der klassische Animationsstil hat etwas sehr Dichtes und Reduziertes. Das macht ihn zeitlos. Der mit dem Digital Rollout etablierte Stil der 3-D-Animation begibt sich auf den halben Weg zu einer pseudorealistischen Darstellung, die nicht immer und bei jedem Publikum funktioniert. Zudem veraltet sie technsich sehr schnell. Nicht von Ungefähr orientieren sich beliebte japanische Animationsfilme ästhetisch noch immer an der reduzierten Form – wie etwa bei Miyazaki. In diesem Sinne mag das „Nichtperfekte“ ein Schlüssel zum Erfolg sein.
7. Und glauben Sie, dass man einen Film wie „Der König der Löwen“ mit seinen doch ziemlich offensiven Botschaften heute überhaupt drehen würde?
Ja, ich denke, diese elementaren Modelle des Storytellings werden nur in Details modernen Bedürfnissen angeglichen, lassen sich aber noch immer gut vermarkten. Selbst im Falle von toughen weiblichen Heroinnen etwa behält Disney diese mythische Grundstruktur bei (MULAN). Es gibt im familienorientierten Animationsfilm durchaus den Versuch, solche macht- und herrschaftsorientierten Modelle zu reduzieren, doch insgesamt finden wir gerade aktuell Animationsformate wie TWILIGHT OF THE GODS auf Netflix, die inhaltlich noch drastischer vorgehen. Bei Medieninhalten, die den globalen Markt erreichen sollen, ist es unwahrscheinlich, dass diese an einer bürgerlich-westlichen Befindlichkeit ausgerichtet werden. Diese Tendenzen haben sich global bislang nicht kommerziell bewährt.