Marcus Stiglegger wurde vom NDR (und dem Deutschlandfunk Kultur) zum Start des Films FRANKENSTEIN von Guillermo del Toro interviewt:
Film-Adaptionen von „Frankenstein“ gibt es viele; „Frankensteins Monster“ aus dem Jahr 1931 ist einer der bekanntesten. Warum ist der Stoff so populär geworden?
Marcus Stiglegger: Man muss schon sagen, dass Mary Shelley bereits 1818 mit ihrem Roman zwei Genres geprägt hat, nämlich das Science-Fiction- und das Horror-Genre. Das Science-Fiction-Element ist der Mad Scientist, also der verrückte oder manische Wissenschaftler, und das Horror-Element ist die Kreatur, die Angst und Schrecken verbreitet. Diese Kombination hat sich für die Filmgeschichte als enorm fruchtbar und gut wiederholbar und variierbar erwiesen. Es gibt bereits in einem Stummfilm von 1910 eine erste Variante, die nur wenige Minuten lang ist, aber die nicht diesen Einfluss hat wie der viel bekanntere Film „Frankenstein“ von 1931, in dem Boris Karloff diese ikonische Präsenz hatte, die auch oft in Serien, wie zum Beispiel bei der „Addams Family“, immer wieder herbeizitiert wird.
Das ist dieses Monster mit Schrauben im Hals und einer verhornt aussehenden Stirnplatte. Wie hat sich dieses Monster im Laufe der Zeit verändert?
Stiglegger: Man muss sagen, dass die Darstellung durch Boris Karloff bis heute einen großen Einfluss hat und auch immer daran gemessen wird. Da ist eine gewisse Tragik mit dieser Kreatur verbunden, die schon im Roman angelegt ist: dass dieses Wesen missverstanden ist, dass es ein zunächst naives, fast kindliches Wesen ist, das sich dann entwickelt. Boris Karloff hat diese naive Interpretation der Kreatur über mehrere Filme weitgehend beibehalten. Dieses Missverständnis durch die Gesellschaft, das ist ein Schlüsselelement: Das Wesen an sich ist nicht böse, sondern es wird erst durch den Kontext zu einer Bedrohung. Spätere Filme und auch Fernsehadaptionen, wie zum Beispiel die Serie „Penny Dreadful“, beschäftigen sich immer wieder mit einem neuen Blick auf die Thematik.
Wie wird die Kreatur in dem neuen Film gezeigt?
Stiglegger: Guillermo del Toro ist bekannt dafür, dass er eine große Sympathie für die Monster der Filmgeschichte und auch der Mythologie hat. Er ist bekannt durch seine „Hellboy“-Filme – auch die haben das Monster als Superheld schon kultiviert. In „The Shape of Water“ ist es eine Liebesgeschichte zwischen einer jungen Frau und einem Wasserwesen. Del Toro ist in seiner Jugend massiv geprägt von den Universal-Horrorfilmen der 30er, und Boris Karloff war für ihn auch sehr präsent, bin ich mir sicher.
Aber aktuell ist die Notwendigkeit gegeben, diese Naivität im Blick auf diese Thematiken abzulegen und eine neue Variante einzuführen. In seinem Film ist es so, dass wir Jacob Elordi als Monster haben – das ist ein ungefähr zwei Meter großer, sehr attraktiver Mann, den wir aus verschiedensten Filmen kennen, auch aus der Serie „Euphoria“. Da ist die Interpretation so, dass Viktor Frankenstein, der die Kreatur aus verschiedenen Leichenteilen zusammensetzt und dann belebt, eine Art Übermenschen schafft. Dieser Übermensch hat massive Kräfte und ist auch in der Lage, sehr schnell zu lernen, was am Anfang in Frage steht und erstmal zur Enttäuschung des Schöpfers führt. Dann gerät er in eine Art gesellschaftliches Abseits, das ihn zur Bedrohung werden lässt für viele Menschen, mit denen er in Kontakt kommt. Das ist im Grunde die Essenz des Romans, die in den Boris-Karloff-Interpretationen etwas auf der Strecke geblieben ist.
Das ist ein künstlich erschaffener Mensch, der am Ende unkontrollierbar in das Leben des Schöpfers eingreift, finanziert von einem deutschen Waffenlieferanten. Ist das auch typisch für die Filmgeschichte? Welche aktuellen Themen spielen da rein?
Stiglegger: Es gibt eine sehr lange Tradition des Gothic Cinema, dieser Schauerromantik, die sich im Kino fortsetzt. Das sind vor allem Horrorfilme, aber auch Thriller und Melodramen, wo das wichtig wird. Diese Atmosphäre ist immer noch hochaktuell und lässt sich da gut wiedererkennen. Die Neuinterpretation von „Frankenstein“ zeigt das Monster als einen Sympathieträger, denn über die Hälfte des Films ist aus der Sicht des Monsters erzählt. Der Film beginnt in der Antarktis, wo sich ein Schiff festgefahren hat, und dann taucht das Monster auf und bringt einige Leute um. Aber dann gibt es den Moment, wo Frankenstein und das Monster ihre Sicht der Dinge erzählen, und das sind sehr moderne und zeitgemäß erscheinende Perspektiven. Hier spielt auch ein neuer Blick auf Geschlechterverhältnisse eine Rolle: Mia Goth als die Protagonistin hat eine andere, wesentlich stärkere Position; sie ist nicht die Frau in Not, wie das in den klassischen Horrorfilmen der Fall ist.
Wie zeigt sich dieses Monströse, dieses Böse in aktuellen Filmen in subtiler, unauffälliger Art? Ist das etwas, was unterschwellig oft in Filmen zu finden ist?
Stiglegger: Wir haben mittlerweile ganz andere philosophische Grundtendenzen. Wir haben die Diskussion von Speziesismus: Ist der Mensch dem Tier überlegen oder ist er gleichwertig zu betrachten? Das sind Diskussionen, die in den 1930er-Jahren überhaupt keine Rolle spielten oder nicht in der Form wie heute. Von daher ist die Kreatur an sich – und das gilt auch für das Wasserwesen aus „The Shape of Water“ – mit einer viel größeren Sympathie gezeichnet. Sie haben auch in der physischen Darstellung Elemente, die man attraktiv finden kann, die auch sexualisiert sind. Bei Boris Karloff ist das kein sexuelles Wesen, das ist plump, während Jacob Elordi auch seine Attraktivität einbringt. Da hat sich extrem viel verändert.
Wie fällt Ihr Urteil über den neuen Frankenstein-Film aus?
Stiglegger: Ich habe den Film auf einer gigantischen Leinwand mit sehr vielen jungen Leuten gesehen, und der Film hat sehr stark begeistert – das ist das Bombastische und Epische, was er hat. Er hat eine attraktive Besetzung, attraktive Schauplätze, aber was mir auch auffiel, ist, dass er sehr künstlich wirkt und viel mit computergenerierten Eindrücken arbeitet, die dann kombiniert werden. Das ist durchaus streitbar, und der Film hat eine Überfrachtung, die man tatsächlich kitschig nennen kann, wenn man das negativ sieht. Der Film selbst ist mit Sicherheit attraktiv für ein großes Publikum, und er wird vielen Leuten Freude bereiten.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.
Frankenstein – Das Film-Monster im Wandel der Zeit | ndr.de
Zudem: Deutschlandfunk Kultur

