Helmut Käutner Preis 2025 an Monika Treut: laudatio

Eine Pionierin

Laudatio für Monika Treut

Von Prof. Dr. Marcus Stiglegger

Stets hat Monika Treut die sinnliche Erfahrung und Lust in den Vordergrund ihrer Filme gerückt, verbunden mit einem subtilen Humor und einer großen Zärtlichkeit für ihre Akteure. (Frédéric Strauss, Cahiers du Cinéma)

Wir ehren heute eine außergewöhnliche deutsche Künstlerin: Vor allem mit ihren Spiel und -Dokumentarfilmen kann Monika Treut als eine Pionierin des queeren Kinos seit den frühen 1980er Jahren gelten. Es ist mir eine besondere Freude und Ehre, diese Laudatio hier zu halten, da sie zunächst wie eine ungewöhnliche Kandidatin für diesen Preis erscheinen könnte. Ihre Spiel- und Dokumentarfilme richteten sich nie nach den Bedürfnissen des Marktes, wie man sagt, sondern sie wählte die Themen intuitiv und gemäß ihrer persönlichen Interessen. Nicht immer stießen ihre Filme so auf Verständnis, sondern wurden immer wieder kontrovers diskutiert, forderten die Konventionen heraus. Doch gerade in den letzten zwei Jahrzehnten erwies sich Monika Treuts Themenfokus als sehr zeitgemäß und wurde international gewürdigt. Rückblickend erweist sich ihr Gesamtwerk als einflussreich, progressiv, mutig und künstlerisch eigenständig. Sie wurde früh ihre eigene Produzentin und machte sich weitgehend unabhängig von den Förderungsmechanismen der deutsche  Filmwirtschaft. Sie ist heute eine unabhängige Filmemacherin – mehr, als man von den meisten anderen Filmschaffenden in Deutschland sagen kann.

Wenn man die Hamburger Filmemacherin auf Tendenzen ihrer frühen Filme bezüglich alternativer Sexualität und bizarrer Körpertechniken der postindustriellen Gesellschaft anspricht, reagiert sie eher mit Unverständnis. Der Mensch stehe bei ihrer Arbeit im Zentrum, der ganze Mensch, nicht nur diese einzelnen Bereiche. So können Phänomene und individuelle Ausdrucksformen wie Sadomasochismus, Transsexualität oder auch bedingungsloses soziales Engagement über die Klassengrenzen hinweg (wie in ihrem späteren Film KRIEGERIN DES LICHTS) gleichberechtigt in den Mittelpunkt ihrer Werke treten. Auch der frühe Fokus auf die USA war wohl eher eine temporäre Reaktion auf die progressiven Tendenzen bis Ende der neunziger Jahre. Ein radikal sexualpolitischer Film wie GENDERNAUTS (1999) könnte heute – unter der gegenwärtigen Trump-Administration – nicht mehr problemlos entstehen. So ist es durchaus traurig, dass einige der Dokumentar- und Spielfilme Frau Treuts heute eher als historische Dokumente einer einst aufregenden gesellschaftlichen Veränderung betrachtet werden müssen.

Ursprünglich studierte Monika Treut Germanistik und Politikwissenschaft in Marburg, doch bereits ihre Abschlussarbeit widmete sich dem Medium Film: den Kamerahelmfilmen von Margaret Raspé. Mit dem Umzug nach Hamburg engagierte sie sich in einem Fraufilmkollektiv. In diesem Kontext entstanden erste Filmarbeiten, die den improvisierten, radikalen Gestus von Rainer Werner Fassbinder ebenso aufgriffen wie die essayistischen Reflexionen von Alexander Kluge. Sie kann als ein Kind des neuen deutschen Films (1969-1981) gelten.

Um ihre eigenwilligen Vorstellungen umsetzen zu können, gründete Treut Mitte der 1980er Jahre die Firma Hyäne I/II (bzw. später Hyaena Films) zusammen mit Elfi Mikesch: „Die Hyäne war immer schon ein Lieblingstier von Elfi und von mir, weil es noch bis in Brehms Tierleben hinein die Vermutung gab, dass Hyänen intersexuell sind, ja sogar, dass sie ihr Geschlecht wechseln können. Wir wählten den Namen auch ein bisschen aus Protest, um abzubilden, dass Independent-Filmemacher ähnlich leben wie Hyänen. Wenn die Zeiten schlecht sind, können sie im Grunde alles verwerten, so wie unsereins auch aus den letzten kleinen Förderungen noch irgendwie schöne Filme machen kann.“ (Treut in Ikonen 2003) Daraus entstand eine hybride Arbeitsform, die bis heute ihre Arbeit prägt und flexibel macht.

Monika Treuts filmisches Werk ist von einer ungewöhnlichen Vielschichtigkeit geprägt. In VERFÜHRUNG – DIE GRAUSAME FRAU (1985) inszenierte sie zusammen mit Elfi Mikesch einen experimentellen Spielfilm als Variation auf Leopold von Sacher-Masochs Roman „Venus im Pelz“. Die Hauptrollen dieses rituellen Dramas um sexuelle Dominanz und Unterwerfung spielen Mechthild Grossmann und Kultstar Udo Kier. Vorhergedacht hatte sie dieses Konzept in ihrer literaturwissenschaftlichen Dissertation „Die grausame Frau“ (1984).

Die in rauem Schwarzweiß gedrehte Tragikomödie DIE JUNGFRAUENMASCHINE (1988) erzählt von einer Journalistin, die auf der Suche nach der romantischen Liebe von Hamburg nach San Francisco reist, wo sie sich in der lesbischen Szene wieder findet. Stilistisch an die frühen Filme der Nouvelle Vague angelehnt, machen sich hier bereits spätere Tendenzen der Filmemacherin bemerkbar: Sie arbeitet halbdokumentarisch mit Menschen, die sich selbst und ihre Lebensumstände darstellen, gedreht in ihrem eigenen Umfeld.

Noch entspannter geht die Komödie MY FATHER IS COMING (1991) vor, in der Vicky, eine deutsche Emigrantin in New York, Lügengeschichten ihres Erfolges nach Hause weiterleitet, bis ihr Vater unvermittelt vor der Tür steht. Hier taucht bereits die Sexualperformerin Annie Sprinkle auf, deren Geschichte Monika Treut noch in späteren Filmen verfolgen wird.

FEMALE MISBEHAVIOR (1992), eine Dokumentarkompilation, verbindet vier Kurzfilme über nonkonforme Frauen: die lesbische Sadomasochistin Carol, Annie Sprinkle, die postfeministische Theoretikerin Camille Paglia und die transsexuelle Native Person Max Valerio stellen sich und ihre Ansichten in teilweise experimentellen, teils intervieworientierten Essays vor. Ein weiterer Porträtfilm ist die essayistische Dokumentation DID’NT DO IT FOR LOVE (1997) über die vielen Leben der Eva Norvind, die als Showgirl in Paris, als Filmdiva in Mexiko und schließlich als Domina in New York tätig war. Dieser Film kann prototypisch für Monika Treuts sehr privaten Zugang zum Medium Dokumentarfilm betrachtet werden.

1999 folgte schließlich GENDERNAUTS. Diese auf vielen Filmfestivals gezeigte und gefeierte Dokumentation gewährt einen Einblick in das Leben einiger Transgender-Individuen im San Francisco des ausgehenden Jahrtausends. Verortet zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht arbeiten diese Menschen an einer ‚dritten Identität‘, die sie auf unterschiedliche Weise ausleben. „Sie sind Geschlechtsnomaden, deren Identität aufgelöst wird,“ heißt es im Pressetext.

Um 2000 folgte die digitale Wende. Monika Treut musste sich neu orientieren. Ihre Festivalreise führte sie rund um die Welt. Aus dieser Reise entstand ein Reisetagebuch namens ACHSENSPRUNG (veröffentlicht 2004), das zahlreiche Festivalimpressionen mit anderen Begegnungen und Gesprächen zusammenführt. Hier kehrte sie auch zu Werner Schroeter und Alexander Kluge zurück, die sie von Beginn an beeinflusst hatten. Kunst, Identität und das Medium Film selbst traten nun ins Zentrum. Schroeter widmete sie 2003 eine eigene Hommage.

Ihren Übergang vom fiktionalen zum dokumentarischen Film beschreibt Monika Treut wie folgt: „Die Arbeitsformen sind sehr unterschiedlich und ich mag beides sehr gerne. Bei einem Spielfilm ist es eine aufregende Erfahrung, zu verfolgen, wie sich dein Drehbuch in Szenen verwandelt. Bei der Umsetzung einer fiktiven Arbeit, auch bei einer Low Budget-Produktion muss allerdings alles sehr gut vorbereitet und geplant sein, man führt ja eine kleine Fabrik während der Produktionszeit. Beim Doku-Film genieße ich die Flexibilität des kleinen Teams und die Freiheit beim Drehen, aber hier ist die Schnitt-Phase sehr anstrengend. Da keine konkrete Storyline wie bei einem Spielfilm existiert bestehen Möglichkeiten in unterschiedliche Richtungen. Das ist allerdings auch ein sehr spannender Prozess. Dokumentationen mache ich deswegen hauptsächlich, weil die Produktions-Bedingungen dafür einfacher sind. Ich habe keine Lust, drei oder vier Jahre auf die Finanzierung eines Spielfilms zu warten.“ (Treut in Ikonen 2003)

In ihrem Dokumentarfilm KRIEGERIN DES LICHTS (2001) wandte sich Monika Treut einem neuen Thema zu. Sie dokumentiert Leben und Arbeit der brasilianischen Menschenrechtlerin und Künstlerin Yvonne Bezerra de Mello, die im Slum von Maré im Norden Rio de Janeros das „Projeto Uere“ für 150 Straßenkinder leitet und sich für ihre Rechte einsetzt: „Ein modernes Konzept sozialen Engagements, das sich nicht in der ‚Mutter-Teresa’-Nächstenliebe erschöpft, ist die beeindruckende Botschaft, die man aus diesem schnörkellosen, eindrucksvollen Film mitnimmt.“ (epd-film)

Es folgt die ‚Taiwanesische Phase’, die 2005 mit dem Dokumentarfilm DEN TIGERFRAUEN WACHSEN FLÜGEL beginnt, mit MADE IN TAIWAN (2005) fortgesetzt wurde und in dem deutsch-taiwanenischen Geistermelodram GHOSTED (2009) gipfelt. Den vermutlich zugänglichsten Spielfilm dreht sie danach mit dem lesbischen Pubertäts-Drama VON MÄDCHEN UND PFERDEN (2014), das vom Coming-Out eines 16-jährigen Mädchens auf einem norddeutschen Reiterhof erzählt. Doch auch dieser Film zeichnet sich durch präzise Beobachtungen, zärtliches Interesse an den Protagonistinnen und die Offenheit für eine Poesie des Moments aus.

Mit dem aktuellen Dokumentarfilm GENDERATION (2022) kehrte Treut ausdrücklich zu den Hauptfiguren von GENDERNAUTS zurück. 20 Jahre später besuchte sie diese erneut in San Francisco und kehrte in gewisser Weise zu ihren Wurzeln in der queeren Subkultur zurück. 2003 reflektierte sie ihre Position in einem queeren Kino wie folgt: „Als ich anfing Filme zu machen, gab es gerade aus Deutschland wenig Unterstützung. Auf unserem ersten Festival auf der Berlinale kamen viele Veranstalter von Gay- und Lesbian-Festivals auf uns zu und haben unsere Arbeit unglaublich gefördert. Die ersten großen Festivals für uns waren dann in San Francisco, Los Angeles und New York. Du gehst eben als Filmemacher dahin, wo du gezeigt und unterstützt wirst. Heute besteht die Frage ob es solche Festivals und auch andere Spezial-Festivals wie Human-Rights-Festivals gerade in Westeuropa und den USA überhaupt noch geben muss, ob sich bestimmte Themen nicht mittlerweile im positiven Sinne normalisiert haben. Es sollte kein ‚preaching to the converted’ stattfinden, die Filme sollten auf Mainstream-Festivals gezeigt werden und eine Konfrontation für das ‚normale’ Publikum darstellen.“

Heute hat Monika Treut es geschafft, unterschiedlichstes Publikum zusammenzuführen. Und sie hat über viereinhalb Jahrzehnte bewiesen, dass man auch aus dem vermeintlichen Abseits der Filmlandschaft ein vielschichtiges und einflussreiches Werk schaffen kann, das einzigartig in der deutschen Filmgeschichte steht und bis heute den Zeitgeist herausfordert. Sie hat diesen Preis mehr als verdient.

Prof. Dr. Marcus Stiglegger

Film- und Kulturwissenschaftler

Mainz, den 4.6.2025

Info: https://stiglegger.de

Düsseldorf: Monika Treut mit Helmut-Käutner-Preis ausgezeichnet

Regisseurin Monika Treut mit dem Helmut-Käutner-Preis 2025 ausgezeichnet – Landeshauptstadt Düsseldorf

Monika Treut erhält den Helmut-Käutner-Preis 2025: Auszeichnung für ein Leben im Zeichen des queeren und unabhängigen Films – Lokalbüro Düsseldorf

Helmut-Käutner-Preis 2025: Monika Treut zu Gast im Filmmuseum Düsseldorf – Landeshauptstadt Düsseldorf

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